Inhaltsverzeichnis
Wir freuen uns Timo Schöber ein weiteres Mal als Gastautor bei Gaming-Grounds.de begrüßen zu dürfen. Als Consultant veröffentlichte er bereits mehrere Publikationen zum Thema eSports und ist derzeit weiterhin als Head of Esportionary.net sowie Pressesprecher des eSports Nord e.V. aktiv. Zu seinen Veröffentlichungen zählt auch das Buch „Bildschirm-Athleten: Das Phänomen e-Sports“. Im heutigen Beitrag nimmt er sich umfassend dem aus seiner Sicht falschen Fokus an, den Deutschland im e-Sports in Bezug auf Fußballsimulationen als Referenz setzt.
Die Fußballsimulationen FIFA und Pro Evolution Soccer (PES) sind großartige Spiele mit einem immensen e-Sports Potenzial und einer bereits sehr aktiven, umfassenden und spannenden Wettbewerbslandschaft. Ich selbst spiele sehr gerne FIFA und habe in meinem Buch „Bildschirm-Athleten“ nicht grundlos unter anderem ein Gespräch mit den Schellhase-Brüdern geführt, die als FIFA-Spieler über Jahre hinweg den deutschen und globalen e-Sports mitgeprägt haben. Dennoch können diese Aspekte nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir in Deutschland in Sachen Genres und Disziplinen eine bedenkliche Schieflage haben, wenn es um die gesellschaftliche, politische und mediale Wahrnehmung des e-Sports geht.
Deshalb gelten Fußballsimulationen, vor allem FIFA, vielen als Referenz
Wenn man sich als Neuling mit dem e-Sports beschäftigen möchte, dann erscheint im ersten Schritt die Auseinandersetzung mit FIFA sinnvoll. Die Hürden sind bei FIFA an diversen Stellen geringer, als bei anderen Spielen. Zum einen, weil das Verständnis für Regeln und das Spiel an sich schneller hergestellt werden kann, da eigentlich jeder Fußball kennt und weiß, wie Fußball funktioniert, ganz unabhängig davon, ob man diese Sportart nun mag oder nicht. Zum anderen kann man Erfahrungen, die man im „echten“ Fußball gesammelt hat, direkt in die digitale Welt projizieren.
Daher ist FIFA auch ein gutes Beispiel, wenn man e-Sports bei klassischen Sportvereinen, in der Politik oder bei gesellschaftlichen Institutionen vorstellt. Das Spiel ist an vielen Stellen ein Brückenbauer zwischen analoger und digitaler Welt.
Sekundäre Rolle im globalen e-Sports
Trotz der geringeren Hürden, die ein FIFA aufweisen mag, wenn es für Szeneeinsteiger um die Beschäftigung mit der Thematik geht, darf man nicht dem Trugschluss anheimfallen, dass FIFA oder andere Sportspiele „den“ e-Sports repräsentieren würden. Im weltweiten Vergleich sind Sportsimulationen kein Top 5 Genre. Vor allem Multiplayer Online Battle Arena (MOBA) Games, Taktikshooter, Teamshooter, Echtzeit-Strategiespiele (RTS), Battle Royale Spiele, Massively Multiplayer Online Games (MMOG), Online-Sammelkartenspiele und Fighting Games sind in ihrer Relevanz für den internationalen, aber auch deutschen e-Sports vollständig oder in bestimmten Aspekten wesentlich höher zu bewerten, als jede Sportsimulation.
Wenn man sich das für den e-Sports größte Sportspiel (FIFA) anschaut, dann rangiert der im e-Sports erfolgreichste Teil der Serie auf dem 29. Platz, wenn es um ausgeschüttete Preisgelder geht. Selbst, wenn man die fünf erfolgreichsten Teile der Serie kumulieren würde, stünde FIFA nur auf Platz 12. Auch die Anzahl der Profispieler gibt hier einen guten Eindruck. In FIFA 19 sind aktuell 271 Profis unterwegs. Zum Vergleich: Bei Counter-Strike:GO sind es knapp 11.700 Pro Gamer, bei League of Legends (LoL) spielen fast 6.500 e-Sportler professionell. Gleiches ist bei der Turnierlandschaft zu beobachten. Das höchstdotierte Turnier in FIFA 19 waren die eChampions League Finals 2019 in Madrid, mit einem Preisgeldpool von 280.000 US Dollar. In anderen Disziplinen, die überwiegend im 1-gegen-1 ausgetragen werden, finden sich wesentlich höher angesetzte Turniere, zum Beispiel die WCS Global Finals in Starcraft 2, bei denen 700.000 US Dollar im Preisgeldpool gewesen sind. Bei Teamspielen sind die Unterschiede noch gravierender. Das „The International“ in Dota 2, das in diesem Jahr die 30.000.000 US Dollar Marke knacken wird, werde ich nicht berücksichtigen, weil es ein klarer Ausreißer nach oben ist. In Counter-Strike: GO finden sich 15 Turniere mit einem Gesamtpreisgeld von 1.000.000 US Dollar oder mehr, in LoL kann das bisher größte Turnier einen Pool von 6.450.000 US Dollar vorweisen.
Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass es in FIFA, das die größte Sportsimulation ist, und damit in Sportspielen im Allgemeinen wesentlich weniger Pro Gamer und Profiturniere als in anderen Genres gibt und die Spieler dabei auch noch wesentlich weniger gewinnen können.
Die Schaffung einer falschen Referenz
Meine persönlichen Unworte im Umgang mit e-Sports sind „eGaming“, „eSoccer“, „eRacing“ und andere. Vor allem der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) versucht immer wieder zu suggerieren, dass nur Sportspiele e-Sports seien, andere Spiele aber „eGaming“. So wird versucht in Deutschland eine falsche Referenz zu etablieren. Dabei ist vor allem nicht verstanden worden, dass e-Sports kein Sport ist, weil er auf dem Bildschirm Sport darstellen würde, sondern weil er an vielerlei Stellen sportlichen Aspekten genügt – und zwar ganz direkt. Beispiele hierfür sind bis zu 400 asynchrone, feinmotorische Bewegungen pro Minute, Aspekte hinsichtlich der Hand-Augen-Koordination und des Stresshormonspiegels, kommunikatives Verhalten, feste Regeln, Fairplay, ganzheitliches Training und ein hohes Maß an Teamfähigkeit.
FIFA als Wettbewerbstitel ist e-Sports. Counter-Strike, Starcraft, Dota 2 oder LoL aber ebenso. Es gibt kein „eGaming“, eSoccer“ oder „eRacing“, sondern nur e-Sports oder das allgemeine Gaming, das dann aber kein e-Sports ist, sondern einfaches Spielen ohne Wettbewerbsorientierung. Denn das definiert den e-Sports vordergründig: Wettbewerb und Leistung!
Daher ist es wichtig zu verstehen, dass FIFA keine Referenz im e-Sports sein kann. Dafür ist es schlicht zu klein. Dennoch ist es ein wichtiger historischer und auch gegenwärtiger Teil der Szene. Aber eben nur ein Teil und nicht der e-Sports insgesamt. In Deutschland sollte man sich also schnellstmöglich von dem Fehlurteil verabschieden, dass FIFA als großer e-Sports Motor fungieren könnte und die wichtigste Referenz sei. Da gibt es wesentlich geeignetere Spiele.
Mehr von Timo Schöber:
Timo Schöber: Deutscher e-Sports – Deutlich älter als gedacht