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Kolumne von Timo Schöber
Es hat sich in den vergangenen Tagen etwas Herausragendes in E-Sport-Deutschland ereignet. Etwas Unerwartetes, das im Ergebnis gleichzeitig die Belohnung für das Beschreiten eines langen, steinigen und harten Wegs voller Hindernisse gewesen sein dürfte. Als jemand, der seit nunmehr knapp 23 Jahren im deutschen E-Sport unterwegs ist, habe ich ein so kontinuierliches Streben zum Ziel hin in der Szene hierzulande selten erlebt. Viele andere Teams und Projekte wären vermutlich zerbrochen.
Wovon ich genau schreibe, findet sich folgend.
E-Sport und Sport Hand in Hand: PENTA 1860
Der TSV 1860 München gehört zu den mitgliederstärksten Vereinen in Deutschland. Vielen dürfte vor allem die Profifußballabteilung bekannt sein, die vielerlei große Erfolge erzielen konnte und lange Zeit in der 1. Fußballbundesliga gespielt hat. Was für ein Nordlicht, wie mich das Duell HSV gegen St. Pauli ist, war für Fußballfans aus dem Süden viele Jahre das Duell zwischen dem FC Bayern München und dem TSV 1860 München.
Der Verein steht für eine Tradition von mehr als 150 Jahren und konnte unter anderem deutscher Meister und Pokalsieger im Fußball werden. Aber auch außerhalb des Fußballs finden sich nennenswerte Erfolge, etwa drei olympische Goldmedaillen, die Sportler des TSV 1860 München für Deutschland gewonnen haben.
Gegenwärtig gehört das Aushängeschild des Vereins, die Fußballabteilung, zu den Topteams der 3. Liga.
Trotz all der Tradition zeigte sich der Verein in der Vergangenheit aber auch offen für neue und progressive Entwicklungen in der Gesellschaft und dem Sport. Während viele Sportvereine E-Sport ablehnen, etablierte der TSV 1860 München nicht nur eine eigene E-Sport-Sparte im Verein selbst, sondern zuvor bereits eine eigene Hybridmarke im Profibereich: PENTA 1860. Der Name verrät es: PENTA 1860 wurde zusammen mit dem Berliner Spitzenclan PENTA entwickelt und im Januar 2019 umgesetzt. Der Fokus der Marke liegt vor allem auf dem Titel League of Legends.
Gründung der Prime League
Die Referenz im MOBA-E-Sport für den D-A-CH-Raum: Die Prime League ist als wichtigste Liga im D-A-CH-Raum gegründet worden. So konnte der Publisher Riot Games vieles vereinheitlichen, strukturieren und eine anerkannte „deutschsprachige Meisterschaft“ etablieren. Zusätzlich arbeitet der Publisher mit bekannten Organisationen zusammen, allen voran Freaks 4U Gaming, die das Ganze außerordentlich gut umgesetzt haben und betreuen. Dabei unterteilt sich die Liga in unterschiedliche Divisionen, wobei die Pro Division die höchste Spielklasse ist.
Für einige verwunderlich war allerdings die Zusammenstellung der Teams in der Pro Division, als auch die Tatsache, dass eine „Aufstiegssperre“ verhängt worden ist. So würden Teams der 1. Division, also quasi der 2. Liga, für mehrere Seasons nicht in die Pro Division aufsteigen können. Ebenso war erstaunlich, dass PENTA 1860 nicht Teil der Pro Division sein würde – und das trotz der Größe und Bekanntheit der E-Sport-Organisation als auch des traditionellen Sportvereins.
Division 1: PENTA 1860 in der 2. Liga
Trotz der überraschenden Zuteilung der Teams startete PENTA 1860 erfolgreich und mit gewissenhafter Arbeit in die 1. Division der Prime League – wohlwissend, dass man für längere Zeit würde nicht aufsteigen können.
Was dann folgte, war durchaus eindrucksvoll: PENTA 1860 konnte alle drei der folgenden Seasons der 1. Division als Erstplatzierter abschließen: Spring 2020, Summer 2020, Winter 2020. Insgesamt gewann man 46 Partien und musste nur 8 Spiele abgeben. Besser hätte die Organisation vermutlich nicht darlegen können, dass die Einsortierung in die 1. Division eine Fehleinschätzung gewesen ist.
Feuerprobe: Relegation zur Pro Division
Im November 2020 folgte dann die Relegation zur Pro Division. „Endlich!“ dürften viele PENTA 1860-Fans gedacht haben. „Endlich!“ war die Aufstiegssperre passé. Während viele aufgrund der Dominanz der Organisation in der 1. Division mit einem leichten Aufstieg in die Pro Division gerechnet hatten, wurden eben jene Menschen eines Besseren belehrt. PENTA 1860 wackelte.
Die stärksten Teilnehmer in der Relegation waren nicht die Spieler der Organisation aus Berlin und München, sondern SK Prime, welche sich sicher in den Playoffs durchsetzen und die Klasse halten konnten. Im Loser Bracket wartete dann ein weiterer Relegationsteilnehmer aus der Pro Division auf PENTA 1860: mYinsanity. Auch hier war PENTA 1860 weit weg davon einen dominierenden Eindruck zu hinterlassen, konnte sich aber dennoch mit 3-2 in einem Best-of-five durchsetzen.
Es kam zum Showdown zwischen Flayn eSports und PENTA 1860. Nach vier Spielen stand es hier 2:2, nachdem PENTA 1860 zweimal in Rückstand gelegen hatte. Es musste eine fünfte und entscheidende Map gespielt werden. Flayn zeigte hier ein herausragendes Spiel und konnte mit 14:3 nach Kills in Führung gehen, der Goldvorsprung betrug zu diesem Zeitpunkt rund 7.000 Gold. Eigentlich wäre so eine Partie bereits entschieden. Eigentlich.
PENTA 1860 gelang ein Baron Steal, die Spieler bewiesen Moral und spielten trotz des großen Rückstands routiniert weiter. Immer mehr Teamfights gingen zugunsten von PENTA 1860 aus, sodass das entscheidende Spiel nach 40 Minuten Spielzeit gewonnen werden konnte. Die Qualifikation zur Pro Division war erreicht und das Team hatte sich nicht nur durch drei gewonnene Seasons in der 1. Division bewiesen, sondern auch durch die Relegation.
Weiterentwicklung und Schwierigkeiten
Mit dem Einzug in die Pro Division wurden auch Veränderungen am Team vorgenommen. Der Kopf hinter dem Team, namentlich „Rulfchen“, blieb weiterhin Kapitän und konnte so die nachhaltige Entwicklung des Teams vorantreiben.
Die erste Season in der Pro Division gestaltete sich aber nicht eben leicht. Durchwachsene Ergebnisse, teaminterne Schwierigkeiten und auch von vielen als unsportlich gewertete Verhaltensweisen trugen dazu bei, dass viel Unruhe rund um das Team wahrzunehmen gewesen ist. Zu nennen ist hier beispielsweise eine Partie, die vonseiten des Gegners nicht gespielt werden konnte und bei der PENTA 1860 sich weigerte, diese aus terminlichen Gründen nachzuholen. Persönlich bin ich der Meinung, dass sportliche Wettkämpfe immer auf dem Spielfeld ausgetragen werden müssen – nicht am Verhandlungstisch. Das hat also durchaus einen faden Beigeschmack hinterlassen, auch wenn verständlich ist, dass Spieler beispielsweise Urlaubsreisen planen und nicht mehr zur Verfügung gestanden haben dürften.
Mit viel Glück konnte man den 7. Platz in der Pro Division und somit auch eine weitere Spielzeit in der höchstklassigen Liga im deutschsprachigen Raum sichern.
Der Durchbruch
Wie sagt der Volksmund so schön? „Aufstehen, Staub abklopfen und weitermachen.“ Genau das tat das Team von PENTA 1860. Schließlich folgte mit dem Summer Split 2021 eine neue Möglichkeit, um in der Pro Division der Prime League anzugreifen.
Das Team rund um „Rulfchen“ arbeitete weiter an sich. Die vorangegangene Season wurden analysiert und Fehler sind angegangen worden. Was nun geschah, ist außergewöhnlich. PENTA 1860 konnte die reguläre Season der Pro Division mit 13 Siegen zu 5 Niederlagen als Erstplatzierter abschließen.
Das bedeutete nicht nur, dass PENTA 1860 automatisch im großen Finale der Prime League stehen würde, sondern sich auch gleichzeitig für die EU Masters qualifiziert hatte – also einen wichtigen europäischen Wettbewerb.
Fazit
Die Entwicklung der Organisation PENTA 1860 finde ich vor allem deshalb spannend, weil sie gespickt mit Aufs und Abs ist. Umso eindrucksvoller ist das Ergebnis: Platz 1 in der regulären Season und das große Finale im August. Angesichts meiner Erfahrungen im E-Sport, der nicht gerade mit Beständigkeit und Nachhaltigkeit glänzt, habe ich großen Respekt vor der Leistung der Organisation und des Teams. Viele andere Teams wären in den Stromschnellen der vergangenen 2,5 Jahre untergegangen. PENTA 1860 jedoch hat weitergemacht und schlussendlich die verdienten Lorbeeren eingeheimst.
Ich bin gespannt, ob man sich endgültig zum Sieger der Prime League wird krönen können.