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Die aktuelle Klage gegen Activision Blizzard, die am 20. Juli 2021 vom Kläger „Department of Fair Employment and Housing“ in Kalifornien gegen das weltbekannte Entwicklerstudio erhoben wurde, scheint sich nur als Startschuss für eine massive Lawine zu zeichnen, die in den vergangenen Tagen immer mehr an Masse und Gewalt gewinnt.
Activision Blizzard ist der Entwickler und Publisher hinter gigantischen Brands wie World of Warcraft, Overwatch, Call of Duty und weiteren namhaften Games und Titeln wie Diablo oder auch Hearthstone. Nahezu jeder Enthusiast, der sich für die Welt der Videospiele begeistert, kennt den Namen Blizzard Entertainment beziehungsweise Activision Blizzard. Doch der Ruf des Studios nimmt nicht nur durch fragwürdige Entscheidungen in Bezug auf die Entwicklung einiger eigener Spiele massiven Schaden.
Nachdem im Jahr 2019 bereits drastisch gegen politische Äußerungen eines Hearthstone E-Sportlers vorgegangen worden war, scheint die Situation in den vergangenen Tagen und Stunden erneut drastisch zu sein. Vielleicht drastischer als je zuvor.
Darum geht es im Detail
In der Klage wird Activision Blizzard, Blizzard Entertainment als auch Activision Publishing vorgeworfen, Frauen schlechter zu bezahlen als männliche Kollegen und zudem Vorfälle sexueller Übergriffe nicht konsequent verfolgt zu haben. Viele der Vorwürfe stammen sogar schon vor dem Zusammenschluss mit Activision, sodass insbesondere das für World of Warcraft verantwortliche Team in den Mittelpunkt rückt.
Der Klage ging, so heißt es, eine zweijährige Untersuchung voraus, die in der Klageschrift nun ihr Ergebnis präsentiert. Doch auch über das rechtliche Gebaren hinaus wird die Luft bei Blizzard derzeit immer dünner. So sammelten sich beispielsweise auf Reddit deutlich über 20 ehemalige Blizzard-Mitarbeiter, die von ihren teils sehr extremen Erfahrungen bei ihrem ehemaligen Arbeitgeber berichten. Die Themen reichen dabei von sexueller Belästigung über Drogenkonsum bis hin zu Sex in für Mitarbeitende zugänglichen Bereichen des Unternehmens. Auch die in der Klage formulierten Vorwürfe werden mehrfach bekräftigt und bestätigt – und um eine ganze Sammlung weiterer Vorfälle und Themen ergänzt, die sich ebenfalls im Unternehmen zugetragen haben sollen.
Nachdem die angeklagte Partei die Vorwürfe zunächst öffentlich dementierte und als vollkommen überzogen darstellte, versprach man intern dennoch eine umfangreiche Aufklärung. Die im Unternehmen für jene Aufklärung verantwortliche Fran Townsend erklärte via Twitter, dass die „Vorwürfe ein verdrehtes und falsches Bild der Firma“ zeichnen würden, „faktisch inkorrekt, alt und aus dem Zusammenhang gerissen“ wären. Dies verärgerte viele Mitarbeitende, Betroffene als auch nur im weitesten Sinne noch mit Blizzard verbundenen Personen massiv. Auch deshalb, weil Townsend erst seit vier Monaten im Unternehmen als Chief Compliance Officer arbeitet.
Michael ‚Mike‘ Morhaime: „[Es] bedeutet, dass wir sie im Stich gelassen haben.“
Dazu gehört auch Michael ‚Mike‘ Morhaime, seines Zeichens Mitbegründer des (einst?) legendären Spiele-Studios Blizzard Entertainment. Dieser schreibt in einem offenen Brief via Twitlonger, dass er sich schäme, die Vorwürfe schwer zu lesen seien und es sich anfühle, als ob all das, wofür er einst stand, durch die aktuelle Situation und deren Hintergrund weggespült wurde.
Im Anschluss findet ihr eine freie Übersetzung des am hinter uns liegenden Wochenende veröffentlichten Briefs von Morhaime, der mittlerweile mit Dreamhaven eine eigene, neue Firma gegründet hat.
„Ich habe die vollständige Klage gegen Activision Blizzard und viele der anderen Geschichten gelesen. Es ist alles sehr beunruhigend und schwer zu lesen. Ich schäme mich. Es fühlt sich an, als ob alles, wofür ich dachte zu stehen, weggespült wurde. Was noch schlimmer ist, aber noch wichtiger, es wurden echte Menschen geschädigt, und einige Frauen haben schreckliche Erfahrungen gemacht.
Ich war 28 Jahre lang bei Blizzard. Während dieser Zeit habe ich mich sehr bemüht, eine Umgebung zu schaffen, die sicher und einladend für Menschen aller Geschlechter und Hintergründe ist. Ich wusste, dass es nicht perfekt war, aber wir waren eindeutig weit von diesem Ziel entfernt. Die Tatsache, dass so viele Frauen falsch behandelt wurden und keine Unterstützung erhielten, bedeutet, dass wir sie im Stich gelassen haben. Außerdem haben wir es nicht geschafft, dass sich die Menschen sicher fühlen, um die Wahrheit zu sagen. Es ist kein Trost, dass andere Unternehmen mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert wurden. Ich wollte, dass wir anders, besser sind.
Belästigung und Diskriminierung existieren. Sie sind in unserer Branche weit verbreitet. Es liegt in der Verantwortung der Führung, dafür zu sorgen, dass sich alle Mitarbeitenden sicher fühlen, unterstützt und gleich behandelt werden, unabhängig von Geschlecht und Hintergrund. Es liegt in der Verantwortung der Führung, Toxizität und Belästigung in jeder Form auf allen Ebenen des Unternehmens auszumerzen. An die Blizzard-Frauen, die eines dieser Dinge erlebt haben, es tut mir extrem leid, dass ich euch enttäuscht habe.
Mir ist klar, dass dies nur Worte sind, aber ich wollte die Frauen anerkennen, die schreckliche Erfahrungen gemacht haben. Ich höre euch, ich glaube euch und es tut mir so leid, euch im Stich gelassen zu haben. Ich möchte eure Geschichten hören, wenn ihr bereit seid, sie zu teilen. Als Führungskraft in unserer Branche kann und werde ich meinen Einfluss nutzen, um positive Veränderungen voranzutreiben und Frauenfeindlichkeit, Diskriminierung und Belästigung zu bekämpfen, wo immer ich kann. Ich glaube, dass wir es besser machen können, und ich glaube, dass die Gaming-Industrie ein Ort sein kann, an dem Frauen und Minderheiten willkommen geheißen, einbezogen, unterstützt, anerkannt, belohnt und letztendlich nicht daran gehindert werden, die Art von Beiträgen zu leisten, die wir alle in dieser Industrie leisten wollen. Ich möchte, dass die Spuren, die ich in dieser Branche hinterlasse, etwas sind, auf das wir alle stolz sein können.
-Mike“
Den gleichen Tenor schlug Morhaime auch im Jahr 2014 bereits an, als er im Rahmen der BlizzCon Eröffnungszeremonie ein Statement gegen Belästigungen auch dieser Art setzte, die damals unter dem Hashtag #GamerGate ans Licht kamen. Dabei ging es primär um Sexismus in der Videospielbranche und eine damit einhergehende Online-Belästigungskampagne. Das zugehörige Statement von Morhaime könnt ihr euch im nachfolgenden Video (mit Timestamp bei 5:50 Minuten) noch einmal ansehen.
Doch wie bereits erwähnt: Morhaime ist nicht mehr bei Blizzard. Deshalb können diese Worte zwar Trost spenden und uns hoffen lassen, dass er sich im Rahmen seiner neuen Unternehmung mindestens genauso stark einsetzt, wie er es immer wieder öffentlich betont, eine Veränderung bei Blizzard wird es deshalb aber nicht mehr geben.
J. Allen Brack an Mitarbeitende – E-Mail geleakt
Doch nicht nur ehemalige Blizzard-Chefs und Führungspersönlichkeiten äußern sich zur Situation, die ein immer größeres Ausmaß anzunehmen scheint. In einer internen E-Mail an alle Mitarbeitenden, die an die Öffentlichkeit gelangt ist, wendet sich der aktuelle Blizzard-Präsident J. Allen Brack an die Mitarbeitenden von Blizzard.
Dort bezeichnet er die Vorwürfe gegen sein Unternehmen als „äußerst beunruhigend“ und wolle diesen auf den Grund gehen, indem er sich mit möglichst vielen Mitarbeitenden treffe, um Fragen zu beantworten und zu diskutieren, wie man von nun an verfahren könne. Darüber hinaus nennt er das Verhalten, welches Mitarbeitenden vorgeworfen wird, „absolut nicht zu akzeptieren“.
Blizzard president J. Allen Brack sent out an email to staff last night addressing the allegations from this week's explosive lawsuit, calling them "extremely troubling" and saying that he'd be "meeting with many of you to answer questions and discuss how we can move forward." pic.twitter.com/NsMV6CNdTE
— Jason Schreier (@jasonschreier) July 23, 2021
Arbeit stillgelegt? – Social Media Kanäle bleiben stumm
Dass es bei Blizzard intern derzeit mächtig brodelt und auch nicht alle Verantwortlichen sowie Mitarbeitenden wissen, wie genau mit der Situation umgegangen werden sollte, merkt man unter anderem an den ungewöhnlich stillen Social-Media-Kanälen der vom Entwickler und Publisher betreuten Titel wie WoW, Overwatch, Diablo und Co.
Dort finden sich seit mehreren Tagen (genauer gesagt dem 21. Juli 2021) keine neuen Beiträge mehr. Einer der aktuellsten Posts beschäftigt sich mit einem WoW TBC Classic E-Sport-Turnier, doch die Kommentare unter dem Tweet stellen natürlich ein anderes Thema deutlich in den Fokus.
Bestärkt wird der Eindruck, dass die Arbeit an Videospielen bei Blizzard und auch den Mitarbeitenden momentan in den Hintergrund gerückt ist, durch Senior System Designer bei World of Warcraft, Jeff Hamilton. Er widmet sich ebenfalls öffentlich dem Thema der aktuellen und äußerst schweren Vorwürfe und betont auch, dass aktuell beispielsweise fast gar nicht an World of Warcraft gearbeitet werde.
Blizzards Antwort auf die Vorwürfe traumatisiere derzeit eine Gruppe von Weltklasse-Entwickelnden so sehr, dass diese nicht mehr fähig seien, weiter an einem großartigen Spiel zu arbeiten.
Activision’s response to this is currently taking a group of world-class developers and making them so mad and traumatized they’re rendered unable to keep making a great game.
— jeff, game design crime committer (@JeffAHamilton) July 25, 2021
Auf der anderen Seite betont er aber auch, dass es im Unternehmen eine Vielzahl von Mitarbeitenden gebe, die sich absolut nichts zu schulden kommen lassen würden und die es nicht verdienen würden, mit den Tätern in einen Topf geworfen zu werden. In seinem Team und auch im restlichen Blizzard gebe es unzählige großartige Personen, die „Besseres verdienen“.
@gamedevconnie@skrutsick@npcSara
@dogspinster@cherthedev@KateMakesStuff@MesaanaSedai@EmpurressMiu@LivBurk@Gaiazelle@Artemishowl_@EmberFirehair@alaurei
@kristin_wrote@f0xw1ld@rainofterra@onalark
@bunnyladame@janicechu_89@misgreen123@bdoodles@sachant— jeff, game design crime committer (@JeffAHamilton) July 25, 2021
Ein aktuelles Statement der Women In Games Organisation:
Blizzard-Skandal: Women in Games zu Sexismus in der Games Branche
Toxizität im Gaming
Falls ihr euch grundsätzlich für das Thema Toxizität im Gaming interessiert und mehr dazu wissen wollt, warum auch Spielende dieser immer wieder ausgesetzt sind, dann lest doch diesen Beitrag, in dem sich unser Gastautor Adam Pawlowski dem Dunning-Kruger-Effekt angenommen hat: