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Kolumne von Timo Schöber. Anmerkung: Bei diesem Beitrag handelt sich um die Abbildung meiner persönlichen Meinung.
Als ich im Jahr 1998 anfing, mich langsam in der entstehenden E-Sport-Szene zu engagieren und einzufinden, konnte man kaum absehen, was knapp 25 Jahre später daraus werden sollte. Damals nannten wir es zwar nicht E-Sport oder elektronischen Sport, aber schon damals war es genau das. Es ging um Wettbewerb, um Teamaspekte, um Kommunikation, um Fertigkeiten und Fähigkeiten und um die Teilnahme an Turnieren sowie Ligen.
Damals nannten wir das Topniveau der Szene „Pro Gaming“. Heute ist dieser Begriff selbstredend veraltet, weil E-Sport mehr umfasst als uns damalige „Pro Gamer“. Vielmehr sind im E-Sport auch der Breitensport und eine riesige Amateurszene inkludiert.
Während sich die Begrifflichkeiten und Zugehörigkeitsgefühle im E-Sport immer mal wieder änderten, spiegelt sich dies auch in der Szene wider. E-Sport ist eine kontinuierliche Veränderung – zum Guten und auch zum Schlechten.
Der Anfang: Community und „Wir-Gefühl“
Ich erinnere mich noch sehr genau. Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, so sagt es schon der Volksmund. Der junge E-Sport war so ein Zauber. Insbesondere durch Computer- und Videospiele, die einen hohen Grad an Chancengleichheit boten, wurde das wettbewerbsorientierte Spielen ab Ende der 1990er-Jahre immer besser möglich. Dabei verstanden wir uns oft nicht als Gegner oder Konkurrenten, sondern eher als sportliche Kontrahenten, die gerahmt in ungeschriebenen Fairplayregeln gegeneinander angetreten sind.
Vermutlich war ein Teil dieser Entspanntheit und des fairen Umgangs miteinander auch der Tatsache geschuldet, dass im frühen E-Sport Geld kaum eine Rolle gespielt hat. Wir waren schon froh, wenn es bei einem Turnier einen Sachpreis zu gewinnen gegeben hat, etwa eine Grafikkarte oder einen Monitor. Zu dieser Zeit war E-Sport etwas communitygetriebenes, weitgehend ohne große Sponsoren oder Investoren. Es gab hier nur wenige Ausnahmen, etwa den Chiphersteller Intel, der sich schon sehr früh und auch sinnvoll im E-Sport-Markt eingebracht hatte.
Vornehmlich dadurch, dass Breitband-Internetanschlüsse zu jener Zeit nicht flächendeckend verfügbar gewesen sind, fanden Wettkämpfe im jungen E-Sport eher isoliert in Ländern oder Regionen statt. Globale Turniere waren eher die Seltenheit. Zu nennen sind hier die World Cyber Games (WCG) als Äquivalent zu den olympischen Spielen oder aber der Electronic Sports World Cup (ESWC). Es gab solche Turniere, sie waren aber eher die Ausnahme als die Regel. Internetbasierte Ligen gab es jedoch bereits sehr früh, insbesondere die ClanBase, etwas später auch die bis heute erfolgreiche Electronic Sports League (ESL), auch, wenn diese inzwischen nicht mehr den Fokus auf Online-Ligen legt. Dennoch waren globale Wettkämpfe insgesamt eher selten.
Dies sollte sich bald ändern.
Weiterentwicklung: Globaler Wettkampf
Die Welt ist zusammengewachsen. Über das Internet tauschen sich Menschen überall auf der Welt miteinander aus. Diese Entwicklung ist auch im E-Sport spürbar.
Die Welt als Dorf, ist wie ich finde, ein wunderbarer Gedanke. Dieses Prinzip ermöglicht den kulturellen, informativen und gedanklichen Austausch zwischen Menschen, Regionen, Unternehmen und Organisationen. Für den E-Sport bedeutet dies, dass mit dem vermehrten Aufkommen von Hochgeschwindigkeitsinternetanschlüssen für Privathaushalte die Möglichkeiten stiegen, um globale E-Sport-Events veranstalten zu können.
Vor allem war zu jener Zeit auch spürbar, dass eben nicht mehr nur Menschen aus reichen Industrieländern auf den globalen Spieleservern unterwegs gewesen sind, sondern Menschen aus allen Teilen der Welt. Das war eine wunderbare Erfahrung. Die Heterogenität der E-Sport-Szene ist eine ihrer größten Stärken. Das gilt damals wie heute.
Durch die Globalisierung des E-Sports, hielten vermehrt Hybridkonzepte in der E-Sport-Szene Einzug. Diese bestanden aus Online-Qualifikationsturnieren mit später stattfindenden Finalrunden auf einem Offline-Event. Das Prinzip, das sich damals entwickelt hat, wird auch heute noch vielfach angewandt.
Darüber hinaus wurden erst durch das schnelle Internet auch Ideen in der Umsetzung möglich, die zuvor nur wenigen Publishern vorbehalten waren. So entstanden vermehrt Ligen und Turniere, die direkt in den Computer- und Videospielen implementiert gewesen sind. Auch dieses Konzept dürfte gegenwärtigen E-Sport-Fans nicht unbekannt sein.
Der globale E-Sport hatte die gesamte Szene damals stark befeuert. Es entstanden weltweit agierende Organisationen und Veranstalter. Spieler schlossen sich länderübergreifend zu Teams und Clans zusammen. Sponsoren erkannten das große Potenzial des E-Sports und stiegen umfangreich in die Szene ein. Ähnliches gilt für Investoren, die vermehrt Gelder und somit Entwicklungsinstrumente in den E-Sport brachten.
Die Szene begann sich zunehmend zu professionalisieren.
Professionalisierung und Strukturierung
Insbesondere große E-Sport-Organisationen begannen nach und nach mit der Schaffung von Strukturen. Dies betraf zum einen Leistungszentren und Trainingsanlagen, zum anderen aber auch unternehmerische Aktivitäten. Das ökonomische System des E-Sports sowie die in ihm verankerten Wertschöpfungsketten wurden zunehmend optimiert und teilweise an bestehende wirtschaftliche Konstrukte angepasst, etwa jene des organisierten Sports. E-Sport funktioniert zwar an der einen oder anderen Stelle anders als man es von bekannten Phänomenen wusste, man denke etwa an die Rolle von Publishern, aber dennoch gelang die Adaption an vielen Stellen außerordentlich gut.
Auch Positivbeispiele einer frühen Strukturierung des E-Sports entwickelten sich weiter. So ist etwa die Korean e-Sports Association (KeSPA) als Dachverband des südkoreanischen E-Sports zwar bereits im Jahr 2000 entstanden, konnte sich aber durch neue Impulse stetig weiterentwickeln und die eigene Vorreiterrolle verstetigen. Gleiches gilt für die ESL oder diverse andere Organisationen.
Ein Markt, der stark wächst und viele Potenziale bietet, zieht aber auch Personenkreise an, die der junge E-Sport vermutlich nie zugelassen hätte.
Künstlichkeit, Unzuverlässigkeit und Blendertum
Insbesondere in den letzten fünf Jahren musste ich feststellen, dass immer mehr Personen in den E-Sport-Markt drängen, die mit den Werten der ursprünglichen Szene wenig gemein zu haben scheinen. Ich lese gefühlt auf jedem zweiten beruflichen Profil, etwa auf XING oder LinkedIn, aber auch auf Webseiten von Clans, Verbänden oder anderen Organisationen, etwas von „Chief Executive Officer“ (CEO), „Präsident“, „Vizepräsident“ oder „C (beliebigen Buchstaben einfügen) O“. Das zeigt ein Kernproblem dessen, dem sich der E-Sport momentan in meinen Augen ausgesetzt sieht: Blendertum und Überhöhung bei vielen, die sich in dem Markt bewegen. Ich hatte hierzu bereits vor einiger Zeit einen Beitrag geschrieben.
Darüber hinaus finde ich es immer wieder erstaunlich, wie wenig zuverlässig im E-Sport gearbeitet wird. Termine werden vergessen, Arbeiten werden nicht fristgerecht vollzogen, Fristen werden verlängert und verlängert. Gefühlt würden 90 Prozent der deutschen E-Sport-Szene im regulären, industriellen Arbeitsmarkt untergehen. Das hat auch viel mit dem ersten Absatz dieses Abschnitts zu tun.
Wenn ich mir auf Bundesebene und auch auf anderen Ebenen anschaue, wie beispielsweise bei bestimmten Organisationen gearbeitet wird, dann finde ich persönlich das mehr als irritierend. Man hört häufig gar nichts zu bestimmten Themenkomplexen und wenn dann etwas kommt, ist das Kind bereits in den Brunnen gefallen. Dieses „Nichts- oder Falschtun“ wird dann hinter Hochglanzauftritten versteckt. Man beschäftigt sich mehr mit sich selbst, als mit den eigentlichen Aufgaben.
Das alles sind Dinge, die ich vom frühen E-Sport nicht kenne. Der Zauber, der dem E-Sport innegewohnt hat, ist ein Stück weit verschwunden – verborgen hinter Blendwerk, monetären Interessen, einer „Überstrukturierung“, „guter Miene zum bösen Spiel“ und „Geld frisst Moral“. Auch eine gewisse, oberflächliche „Ja-Sager“- und „bloß nicht anecken“-Mentalität hat im E-Sport um sich gegriffen.
Die verlorene Unschuld
Dass Geld Moral frisst, ist ein wichtiger Punkt. In jüngster Vergangenheit hat die E-Sport-Szene hier mehrfach die eigene Unschuld verloren.
Ich denke da etwa an den Ausverkauf des größten Wettbewerbsveranstalters der Welt an den saudi-arabischen Staat. Auch dazu hatte ich mich als eine der wenigen kritischen Stimmen geäußert.
Es gibt aber auch genügend andere Beispiele, man denke etwa an die Rolle von China im E-Sport, den Quasi-Staatskonzern Tencent, die Rolle von russischen Oligarchen im Ökosystem oder aber die Invasion Russlands in der Ukraine. Hier weigerten sich einige Veranstalter Events abzusagen. Dies wurde der Lage „Krieg in Europa“ an vielen Stellen nicht gerecht, vor allem nicht aus moralischen Aspekten. Geld war hier offenbar wichtiger als Solidarität.
Es gibt aber auch positive Entwicklungen.
Positive Neuerscheinungen
Die in meinen Augen größte Errungenschaft des modernen E-Sports ist die Etablierung von Forschung zu dem Thema. Vielerlei Hochschulen, aber auch das Esports Research Network (ERN) tragen dazu bei, dass es immer mehr Studienmöglichkeiten und wissenschaftliche Arbeit zum E-Sport gibt. Das ist unfassbar wichtig.
Darüber hinaus ist ein Großteil der Entwicklungen zum Breitensport positiv zu werten, insbesondere hinsichtlich einer stetig wachsenden Anzahl an Vereinen. Das schafft Sozialisierungspunkte und ein Vereinsleben. Auch, wenn hier nicht alles Gold ist, was glänzt, ist es in Summe doch eine gute Erscheinung im E-Sport-Markt.
Auch die Nachwuchsarbeit wird zunehmend besser. Viele Organisationen fahren hier ganzheitliche Ansätze, etwa durch Systeme, die einer dualen Ausbildung ähneln.
Ebenso ist vermehrt spürbar, dass gesamtgesellschaftliche Debatten und Erfordernisse auch im E-Sport Einzug gehalten haben. Ich denke hier etwa an Jugendschutz-Maßnahmen oder aber Konzepte, um eine Gleichstellung der Geschlechter sicher zu stellen.
Persönliche Ableitungen und Teilrückzug
Ich glaube nach wie vor, dass E-Sport in Summe etwas Positives ist. Dennoch fühlt man sich als „alter Hase“ der Szene, als würde man wie Don Quijote gegen Windmühlen kämpfen. Das ist auch der Grund, warum ich in der jüngeren Vergangenheit bereits von unterschiedlichen Posten zurückgetreten bin. Zur Wahrung meiner wissenschaftlichen Neutralität achte ich ohnehin darauf, was ich und wie ich es mache. Aber gerade in den letzten Monaten war es wichtig, sich von einigen Projekten zu distanzieren, die nicht dementsprechend sind, wie ich arbeite oder was ich von guter Arbeit aus meinem regulären Job gewohnt bin – Ehrenamt oder Kein-Ehrenamt hin oder her.
Ab Mitte dieses Jahres werde ich mich einer neuen hauptberuflichen Herausforderung widmen, auf die ich mich unendlich freue und die im HR-Umfeld angesiedelt ist, also meinem beruflichen Leidenschaftsthema.
Für mich persönlich habe ich festgestellt, dass E-Sport zwar immer noch eine Leidenschaft von mir ist, zunehmend aber dunkle Wolken aufziehen, die ich nur schwer mit meinen moralischen Vorstellungen in Einklang bringen kann – weshalb die Projekte, an denen ich mitwirke, immer „selektiver“ werden. Auch ich kann nicht immer alles durchschauen und bin oft erst hinterher „schlauer“, da im E-Sport viel nur Fassade ist. Einen weiteren Teilrückzug hatte ich daher schon lange vor. Durch die neue berufliche Herausforderung in meinem Hauptjob im Bereich Human Resources, wird sich dieser Teilrückzug nun aber beschleunigen.
Ich werde mich weiterhin im E-Sport einbringen, aber in einem deutlich gedrosselten Umfang und überwiegend nur noch mit Themen, auf die ich Lust habe. Kritiken und Fingerzeige haben zwar in der Vergangenheit, so hoffe ich zumindest, an der einen oder anderen Stelle zu Verbesserungen beigetragen, aber in Summe möchte ich die Zeit, die ich noch für den E-Sport aufbringen kann und möchte, primär lieber in emotional bei mir positiv besetzte Ideen stecken.