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Wie passen verschiedene Weltanschauungen, Philosophien und Religionen ins Gaming und in den E-Sport? Dieser Frage, die sich uns bei einem wöchentlichen Meeting stellte, hat sich unser freier Autor Timo Schöber angenommen. Für ihn spielen Religion und Wissenschaft gleichermaßen eine Rolle im Alltag. Wie er die Konzepte der Branchen mit seinem Weltbild in Verbindung bringt, lest ihr im nachfolgenden Kommentar.
Ist es moralisch in Ordnung, wenn man in einem Videospiel digitale Gegner, die auch von Menschen gesteuert werden, abschießt? […] Jein!
Religionen sind etwas, dass die Mehrheit der Weltbevölkerung und auch einen großen Teil der Deutschen sehr persönlich betrifft. Weit über die Hälfte der deutschen Bevölkerung sieht sich einer religiösen Gemeinschaft zugehörig, der Löwenanteil dieser Menschen bezeichnet sich als Christen, wobei es hier sehr unterschiedliche Ausprägungen gibt. Reduziert man das Christsein auf die Zugehörigkeit zu weltlichen Organisationen, hierzulande „Kirchen“ genannt, dann sind vor allem die katholische und die evangelische Kirche von hoher Relevanz in Deutschland. Die so erhobenen Daten sind allerdings mit Vorsicht zu genießen, weil Kirchen lediglich die strukturelle Organisation von Religion sind und Religion wiederum die theoretische Zusammenfassung von Gläubigen.
Dabei sind Kirche, Religion und Glaube explizit zu trennen und mitnichten Synonyme füreinander, vielmehr funktioniert die Kausalität nur in eine Richtung: Wer einer Kirche angehört, der fühlt sich einer Religion zugehörig, was wiederum bedeutet, dass er gläubig ist. Ein Gläubiger hingegen muss keiner Religion angehören, da Glaube sehr individuell sein kann. Ebenso muss ein religiöser Mensch zu keiner Kirchengemeinschaft passen, auch Religion hat viele Facetten, die oft nicht so recht in kirchliche Strukturen passen möchten.
Das aber nur als Randnotiz, in diesem Beitrag geht es primär um das Verhältnis von Weltanschauungen und E-Sport, sowie mögliche Problemlagen. Es war mir nur wichtig aufzuzeigen, dass „Religion“ nicht genau eingrenzbar und darüber hinaus sehr heterogen ist.
Religion – altbackener Unsinn aus der Vergangenheit?
Der Physiker und Nobelpreisträger Werner Heisenberg hat sinngemäß einmal gesagt, dass Wissenschaft dem Menschen Gott näherbringt als ihn von Gott zu entfernen. Ich glaube, dass darin eine Wahrheit liegt, die ein Kernproblem gegenwärtiger Beschäftigung mit Religion deutlich macht. Religion gilt vielen als obsolet, weil sie meinen, dass sie deren Grundsätze durch wissenschaftliche Erkenntnis widerlegen, gar relativieren könnten. Die so Denkenden könnten falscher nicht liegen, wie Heisenberg zum Ausdruck bringen wollte.
Als wissenschaftlich arbeitender Mensch, der gleichzeitig tiefreligiös ist, fand ich das schon immer irritierend, dass Wissenschaft und Glaube von vielen als Gegensätze betrachtet werden. Zum einen, weil Wissenschaft nur falsifizieren kann, wenn die zugrundliegende Hypothese dies theoretisch ermöglicht. Wie soll aber ein Mensch einen Gott widerlegen, der per Definition in den meisten der vorherrschenden Religionen in der westlichen Welt – und damit auch unserer Region – allmächtig ist? Der Mensch ist als Mensch im Menschsein beschränkt: Er macht sich seine Welt. Man versuche sich zum Beispiel „Unendlichkeit“ oder „Nichts“ bildlich vorzustellen. Ein Mensch scheitert bereits daran. Wie also Gott falsifizieren? Zum anderen fand ich die Verengung auf eine bestimmte Gottesdefinition bei solchen Fragestellungen stets unzureichend. Wenn der Mensch sich seine Welt erschafft, dann mag er sich auch seinen Gott erschaffen. Woher wissen wir, dass dies die richtige, oder zumindest eine richtige Definition ist?
Sei es drum: Gott ist nicht falsifizierbar. Es geht bei Gott oder Religion auch nicht um Wissen oder Gewissheit, sondern um Glauben. Um eine innere Überzeugung, die gar keinen logischen Beweggründen folgen muss.
Haben Religionen aber einen Bezug zur Gegenwart? Offensichtlich, sonst würde die Mehrheit der Deutschen nicht an einen Gott glauben. Das findet sich auch in unserem Grundgesetz, das sich auf die jüdische Morallehre und die christliche Vergebungstheologie beruft. Nicht grundlos weisen die Autoren des Grundgesetzes auf „ihre Verantwortung vor Gott“ hin. Religionen mögen vielen aufgrund ihrer Dogmen, Sitten oder Ethik veraltet erscheinen. Dabei sind sie Lebenswirklichkeit vieler Milliarden Menschen weltweit.
Ich persönlich bin einer dieser Menschen – und ich bin der festen Überzeugung, dass eine theologische Wahrheit nur dann von wert ist, wenn sie unveränderbar ist. Ansonsten passt sie sich ständig dem Zeitgeist an und wird dadurch nur „Eines von vielen“.
Philosophie – Die Liebe zur Weisheit: Was ist das eigentlich?
Philosophische Überlegungen und Erkenntnisse gibt es seit tausenden von Jahren. Sie erstrecken sich auf unterschiedliche Teilgebiete, auch jene der Religionen, man denke hier etwa an Gottesbeweise (ontologisch, natürlich, logisch, kulturell und so weiter).
Wichtige Beiträge zur Bildung von ethischen Grundsätzen und moralischen Werten finden sich in unterschiedlichen philosophischen Strömungen. Für Deutsche dürfte vor allem der Kategorische Imperativ von Kant von Bedeutung sein, weil dieser sich an vielen Stellen unseres geltenden Rechts widerfindet: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“
Das bedeutet im Prinzip nichts anderes als: Benimm dich so, dass es für eine funktionierende Gesellschaft in Ordnung ist.
Philosophie ist immer auf Erkenntnis ausgerichtet. Es geht darum die Welt um ein Stück Wissen reicher zu machen. Hierzu gehören auch Moral und Ethik, die weiterentwickelt und teilweise neu eingeordnet werden können.
Netter Exkurs, aber was hat das mit E-Sport zu tun?
Sehr viel! Die vorstehenden Zeilen sind nur ein winzig kleiner Ausschnitt, der als Hinführung auf das eigentliche Artikelthema dienen soll.
Der elektronische Sport, also das wettbewerbsorientierte Spielen von Videospielen, hat sich in der Vergangenheit vielerlei Diskussionen ausgesetzt gesehen, die teilweise auch mittels moralischer Argumentationsweisen geführt worden sind. Es ist hierfür wichtig zu wissen, woher diese Sichtweisen kommen und woraus sie sich speisen.
Die „Killerspiel-Debatte“ ist hier ein klassisches Beispiel. Ist es moralisch in Ordnung, wenn man in einem Videospiel digitale Gegner, die auch von Menschen gesteuert werden, abschießt? Da Moral und Ethik auch individuell oder kollektiv subjektiv sein können, kann man diese Frage mit einem „Jein“ beantworten: Viele Menschen finden das in Ordnung, viele andere sehen dies eher kritisch. Dabei geht es gar nicht unbedingt darum, ob es erlaubt sein sollte dies zu tun. Das wäre dann eher eine Frage der politischen Freiheit, des Liberalismus. Vielmehr stellt sich die Frage, ob es moralisch und ethisch vertretbar ist dies zu tun.
Diese Frage muss im Endeffekt jeder für sich selbst beantworten. Ich selbst bin gläubiger Christ und in gesellschaftlichen Fragen eher konservativ. Allerdings sehe ich hier überhaupt kein Paradoxon, wenn ich gleichzeitig Videospiele wie Counter-Strike oder Battlefield toll finde. Die Darstellung von Gewalt ist etwas anderes als ihre Verherrlichung. Das Spielziel bei Taktikshootern basiert auf Kommunikation, Strategien, taktischem Vorgehen, Teamplay und dem richtigen Timing. Dass es dabei dann auch ums Schießen und gegebenenfalls Töten von virtuellen Spielfiguren geht ist für mich persönlich vollkommen unproblematisch – und ich sehe hier auch keine Reibungspunkte zu meinen religiösen Überzeugungen.
Andere mögen das anders sehen. Wieder andere sind vielleicht überhaupt nicht gläubig, sehen aber aus philosophischen oder gesellschaftlichen Gesichtspunkten Problemstellungen. Das stelle ich beispielsweise häufig bei Gesprächen mit Menschen aus Jugendbüros fest, die zwar wissen, dass es Altersbeschränkungen gibt, diese Spiele in Summe aber dennoch ablehnen.
Gegenseitige Rücksichtnahme: Negativbeispiel SMITE
Das Action-MOBA SMITE ist seit Jahren mein Lieblingsspiel. Ich mag die taktische und strategische Tiefe bei gleichzeitiger Action und vor allem Skillelementen, die es sonst kaum in MOBAs gibt, zum Beispiel Trueshots, also echtes Aiming. Ebenso finde ich das Setting interessant. Gespielt werden Gottheiten aus unterschiedlichen Pantheons. Gleichzeitig werden die einzelnen Gottheiten im Spiel auch erklärt, sodass dies durchaus einen Mehrwert für die eigene Bildung haben kann.
Dennoch sehe ich SMITE an einer Stelle kritisch. Das Spiel bedient sich nicht nur aus den Götterwelten vergangener Religionen, also solcher, die keine praktische Relevanz mehr in der Gegenwart haben. Vielmehr sind auch Götter aus Religionen spielbar, die über Millionen von Gläubigen verfügen. Zu nennen ist hier insbesondere der Hinduismus, auch, wenn er per se keine polytheistische Religion ist, sondern monotheistisch: Schließlich sind die rund 3.000 Götter im hinduistischen Glauben keine eigenständigen Gottheiten, sondern allesamt Ausdruck ein und des selben Göttlichen. Der Hinduismus ist auch grundsätzlich an bestimmten Stellen kritisch zu bewerten, weil er Menschen auf Basis ihres vermeintlichen „Wertes“ von Geburt an in Kasten selektiert. Für mich persönlich eine unethische Vorgehensweise. Dennoch gilt es auf Hindus und ihren Glauben Rücksicht zu nehmen. Das macht SMITE nicht. Vielmehr sind hinduistische Gottheiten spielbar und werden teilweise sehr überzeichnet dargestellt. Das führte unter anderem dazu, dass SMITE in bestimmten Regionen Indiens, in dem der Hinduismus die größte Religionsgemeinschaft bildet, verboten worden ist.
Aber auch andere religiöse Systeme, die gegenwärtig aktiv gelebt werden, lassen sich im Spiel finden, etwa die in Afrika verbreitete Religion der Yoruba.
Meine Meinung ist, dass das nicht sein muss. Das ist für die Gläubigen der jeweiligen Religion eine Herabsetzung der eigenen Überzeugungen: Spielbare Gottheiten. SMITE benötigt diese Religionen auch nicht, um Vielfalt im Spiel zu generieren. Es gibt genug „tote“ Glaubenswelten, etwa aus dem alten Ägypten, Rom, Griechenland, Mittelamerika und Asien. Hier kann man ebenfalls viel aus der Geschichte lernen ohne die religiösen Gefühle anderer Menschen zu verletzen.
Fazit
Wie überall im Leben sollte Toleranz auch in religiösen Fragen eine der obersten Prämissen im Miteinander sein. Das bedeutet, wie in Deutschland häufig fälschlicherweise angenommen wird, nicht, dass man etwas akzeptieren oder gutheißen muss. Vielmehr definiert sich Toleranz dadurch, dass man etwas inhaltlich ablehnen kann, ohne dagegen vorzugehen. Solange eine Überzeugung, ein System oder eine Weltanschauung nicht darauf abzielt Andersdenkende zu bekämpfen oder herabzusetzen, sollte sie von allen toleriert werden. Das gilt im Übrigen auch für atheistische Überzeugungen, also die Annahme, dass die negative Existenz Gottes beweisbar wäre – was im Grunde nichts anderes ist als eine Glaubensfrage. Eine „Unsicherheit“ über Gott wäre im Übrigen kein Atheismus, sondern Agnostizismus, und damit auch eine Glaubensfrage.
Ob man bestimmte Computerspiele im Allgemeinen oder E-Sport im Speziellen im Kontext der eigenen Wertvorstellungen gut oder schlecht findet, ist immer eine sehr individuelle Frage. Selbst innerhalb einer Religion oder eines philosophischen Systems wird man sehr unterschiedliche Antworten auf diese Frage mit zahlreichen Nuancen erhalten. Das bedeutet: Im Grunde muss das jeder für sich selbst entscheiden. Menschen, die aber ein Problem mit diesen Phänomenen haben, sollten sie tolerieren. Schließlich zielen weder Gaming, noch E-Sport darauf ab irgendwem aktiv zu schaden oder dies passiv in Kauf zu nehmen.
Eindimensionale Betrachtungen auf etwas haben jedenfalls noch nie zu einem Mehr an Wahrheit geführt. Im Gegenteil.