Next Gen-Hype: Frustrierender Mythos mit falschem Fokus

Ach, was haben die Augen doch gefunkelt, wie schwitzig waren die Hände, die Bäckchen gerötet, als wir alle nach langer Zeit des sehnsüchtigen Wartens im vergangenen Jahr endlich die neue Konsolengeneration vorgestellt bekommen haben. Die ersten Bilder, erste Specs und viel, viel Hoffnung – wie der Anfang einer großen Liebe. Doch was wie eine Lovestory begann, entpuppte sich leider eher als abgeschmackter Urlaubs-Flirt. Das neue Konsolen-Lineup von PlayStation 5 und Xbox Series X sorgt bislang mehr für Frust als Freude.

Noch immer sind die Regale leer, Sony und Microsoft sind mittlerweile recht ruhig geworden, was das Thema angeht. Wann es endlich wieder PS5 und Xbox Series X zu kaufen gibt? Keine Ahnung, nächstes Jahr vielleicht? Klar, die böse Halbleiter-Knappheit ist schuld. Auch die Corona-Pandemie hat allen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Natürlich. Oder hat man einfach schlecht geplant und etwas zu hoch gepokert? Wir wissen es nicht. Klar ist auf jeden Fall, dass immer noch viel zu wenig Spieler im Besitz einer der neuen Next Gen-Konsolen sind.

Next Gen! Was ist das überhaupt?

Es ist gar nicht so einfach zu beschreiben, was diese neue „Next Gen“ überhaupt ist. Versucht man sich an einer Definition, dann vielleicht: 4K bis 8K, bei 60 oder 120 FPS und die Möglichkeit, mit dem effektreichen Raytracing diese Werte wieder zu halbieren. Eigentlich gar nicht so spektakulär, wenn man bedenkt, dass bereits Xbox One X und PlayStation 4 Pro mit 4K-Auflösungen hantiert haben. Gab es nicht sogar softwareseitiges Raytracing? Und 8K? Naja, das ist wohl eher Musik von Übermorgen, sind aktuell die meisten TVs noch gar nicht in der Lage überhaupt 4K@120 Hz vollständig entgegenzunehmen. Es wird noch ein wenig dauern, bis sich der neue HDMI 2.1-Standard komplett durchgesetzt hat und die Geräte vor allem auch bezahlbar sind.

Aber es gibt ja auch andere neue Features. Doch bevor wir uns diese anschauen, überlegen wir mal, was wir vor einigen Jahren als PC-Gamer gemacht hätten, wenn unser fleißiges Arbeitstier langsam in die Tage gekommen wäre. Hätte man zu diesem Zeitpunkt an seinem alten Gerät festgehalten, wäre vermutlich ein folgendes Upgrade infrage gekommen: Schnelle SSD-Festplatte (kürzere Ladezeiten), neue Grafikkarte (flott muss sie sein!) und vielleicht ein bisschen mehr Speicher. Die CPU auszutauschen ist dann schon wieder sehr kompliziert, vermutlich würde dann auch ein neues Mainboard fällig und dann kann man sich ja gleich einen neuen Rechner holen.

Der große Hardware-Hype

Tja, mit diesem Hardware-Upgrade von 2018 hätte man dann grob zusammengefasst, was Sony und Microsoft mit PS5 und Xbox Series X gemacht haben. Zum Glück gibt es nun, einige Jahre später, ja noch andere Verkaufsargumente. Wie wäre es mit Raytracing? Das ist diese Technik, die dafür sorgt, dass Licht möglichst realitätsnah berechnet wird. Je nach Lust und Laune können unterschiedlich viele virtuelle Lichtstrahlen simuliert werden, die dann entsprechend auf Oberflächen treffen, brechen, streuen und insgesamt für bessere Belichtungseffekte und Reflexionen sorgen.

Schaut man sich zum Beispiel Cyberpunk 2077 an und strolcht dabei durch Night City, dann wird man auf dem Boden zum Beispiel Pfützen sehen, in denen sich mit aktiviertem Raytracing – möglichst echt – die Passanten spiegeln. Auch der Autolack reflektiert nun die Umgebung ziemlich genau. Beeindruckend. Für die Version ohne Raytracing mussten sich die Entwickler hingegen ziemlich ins Zeug legen, zum Glück gibt es seit Jahren schon recht Ressourcen-schonende Varianten, die einen ähnlichen Effekt simulieren. Doch macht das Raytracing denn nun wirklich den Unterschied? Das muss vermutlich jeder selbst entscheiden. Fakt ist allerdings: Mit aktiviertem Raytracing könnt ihr eure 4K@120Hz schon wieder vergessen. Außerdem sieht alles irgendwie etwas breiiger aus. In der Regel schaut ihr euch die Effekte an, bestaunt sie, entscheidet euch im Alltag dann aber wieder für: entweder eine höhere Auflösung oder mehr Performance – denn 60 FPS aufwärts machen tatsächlich einen großen Unterschied.

Vermutlich dürfte die Performance am Ende der größte Gewinn der neuen Hardware sein. Je nachdem auf welchem Bildschirm ihr spielt, hält sich die Sinnhaftigkeit einer extrem hohen Auflösung in Grenzen. Mehr FPS hingegen bringen – je nach Genre – teilweise einen erheblichen Vorteil und werden zudem als geschmeidig und angenehm wahrgenommen. 4K macht sich ab einer gewissen Displaygröße bemerkbar, vielleicht so ab 27 Zoll. Vorher ist es vermutlich eher eine Glaubensfrage, denn die Menge an Pixeln findet ja kaum Platz auf dem kleinen Display. Und dann wäre da noch die Limitierung unserer Augen, aber wir wollen hier nicht zu weit ausholen. In puncto Auflösung bleibt immer die Frage: Gibt die im Spiel gezeigte Geometrie überhaupt so viele Details her? Oder reicht nicht auch eine einfache Kantenglättung, um Treppenstufen zu vermeiden?

steam hardware umfrage
Steam Hardwareumfrage – Stand Juni 2021

Hinzu kommt, dass 4K zwar die Auflösung ist, die aus der Konsole oder dem PC rauskommt, was in der Zwischenzeit damit allerdings passiert ist, steht nicht auf der Packung. Viele Spiele berechnen Auflösungen entweder dynamisch oder generell geringer und skalieren diese dann hoch. Native 4K-Titel sind noch nicht der Standard. Zumal aktuellen Hardware-Erhebungen nach FullHD-Auflösung noch immer am weitesten verbreitet ist. Welch Größe die Texturen in einem Spiel haben, wird im Übrigen auch nicht durch den Stempel 4K definiert. Die Qualität der Texturen ist losgelöst von der Endauflösung zu betrachten. Je schneller die Hardware allerdings ist, desto besser wird sie auch hohe Auflösungen verarbeiten können.

Also, fassen wir zusammen: Die „neue“ Next Gen bringt mehr Rechenpower, um Dinge wie 4K, höher auflösende Texturen, eine hohe Bildwiederholrate und gegebenenfalls Raytracing noch besser zu wuppen. Dann wären da noch kleinere Spielereien, wie zum Beispiel der neue Dual Sense-Controller von Sony, wenn man ihn denn der neuen Generation zuschreiben möchte. Auf Next Gen folgt Next Gen, demnach definiert die aktuelle „neue Generation“ den ungefähren Stand der Technik, den wir um 2021 haben – das mag in ein paar Jahren sicher schon wieder ganz anders aussehen. Auch eine PS3 war mal ziemlich hot. Richtig große Innovationen lassen sich bei der neuen Generation auf jeden Fall nicht erkennen. Vielleicht überrascht und Sony allerdings ja noch mit dem neuen PSVR? Der VR-Gaming-Markt wird immer interessanter und bietet tatsächlich neue Ansätze. Xbox-Chef Phil Spencer hat neulich in einem Interview auf jeden Fall klargestellt, dass man dieses Segment vorerst nur beobachten wolle.

Nintendo und Valve

Aktuell beweist uns auf jeden Fall Nintendo ganz gut, dass es eher auf die Qualität der Spiele ankommt und nicht auf die Hardware. Super Mario und Co. sind regelmäßig weit oben in den Verkaufs-Charts zu finden. Im ersten Halbjahr 2021 fanden sich gleich mehrere Nintendo-Spiele in den europäischen Ranglisten ganz oben. Außerdem: Ihr könnt eine Nintendo Switch kaufen, jederzeit, sogar jetzt sofort. Die Hybrid-Konsole ist mittlerweile allerdings ziemlich outdated. Auch das kürzlich vorgestellte OLED-Modell ändert wenig an den bestehenden Hardware-Specs, zumindest, wenn es um die grundsätzlichen Motoren CPU/GPU geht. Die größte Änderung ist das leicht größer dimensionierte Display. Die Auflösung bleibt gleich.

Interessant ist auch, dass das ebenfalls kürzlich vorgestellte Valve Steam Deck. Es schlägt eher in die Switch-Bresche, bietet allerdings etwas mehr Power, um auf dem Niveau eines einfachen Gaming-PCs zu kommen. Das ebenfalls mobil nutzbare Gerät bietet auch eine auf 720p basierende Auflösung und liegt in etwa auf dem Leistungsniveau einer PS4 – allerdings mit neuerer Technik. Valve hat seine Hardware-Erhebung offensichtlich als Anreiz genommen und überlegt, was die Gamer da draußen eigentlich haben wollen. Schaut man sich verschiedene Umfragen an, dann kommen diese meist zu einem recht ähnlichen Ergebnis: 4K ist nett, Raytracing kurz spannend, dann aber zu langsam, mehr FPS sehr willkommen! Den Spielern ist also (sicherlich abhängig vom Genre) eher wichtig, ein flüssiges Spielerlebnis zu bekommen, als extrem hohe Auflösung oder Blingbling-Effekte wie Raytracing.


Mehr dazu: Valve Steam Deck und Nintendo Switch OLED im Vergleich


Noch dazu kommt: Geniale Grafik ist toll, man gewöhnt sich aber auch schnell daran. Nach dem Wow-Effekt bleibt vor allem das Gameplay übrig – und das muss stimmen. Niemand spielt ein Spiel längere Zeit nur wegen der Grafik (oder?). Spielspaß und Zugänglichkeit sind die wichtigsten Pfeiler eines erfolgreichen Spiels. Dies ist auch der Grund, warum Nintendo mit seiner Mobilkonsole so erfolgreich ist und der Markt der Mobile Games nach wie vor gigantische Umsätze generiert. Was die Zugänglichkeit angeht, läuft für PlayStation 5 und Xbox Series auf jeden Fall gerade alles falsch.

Siehe auch: Next Gen viel zu früh: Marketing-Märchen und langes Warten

Microsoft hat es geahnt

Microsoft hat das eventuell schon vor dem Release erkannt. Wie mit Zauberhand zog die muntere Truppe aus Redmond plötzlich ein weiteres Ass aus dem Ärmel, die Xbox Series S. Das Gerät konzentriert sich auf das leichte Hardware-Upgrade (siehe oben), nutzt also schnellen SSD-Speicher und eine flotte Grafikkarte, verzichtet aber auf hohe Auflösung und Schnickschnack. Das Gerät ist seit dem Release quasi durchgehend zu kaufen, funktioniert einwandfrei und ist zudem eine geeignete und günstige Plattform, um als Abspielgerät für den hervorragenden Microsoft Game Pass zu dienen. Wir haben also Zugänglichkeit und Spielspaß in einem Gerät. Dafür gibt es im Next Gen-Kampf ein Fleißbienchen für Microsoft.

Erwähnt werden müssen hier die aktuellen Parallelen zum Grafikkarten-Markt. Lächerlich hohe Preise und keine Verfügbarkeit zeichnen hier aktuell ein ähnliches Bild, während in den meisten Rechnern noch die 10er-Serie von NVIDIA fleißig ihren Dienst verrichtet.


Fazit: Games vs. Hardware

Hat man einfach etwas zu früh und vor allem etwas zu laut ins Marketing-Horn geblasen. Brauchen wir diese Killer-Hardware überhaupt jetzt schon? Hinkt die Spieleindustrie eventuell dem Hardware-Markt hinterher? Vielleicht können aktuelle Spiele diese Power gar nicht richtig ausnutzen, immerhin benötigt dies auch eine gigantische Entwicklungszeit. Vermutlich haben wir aktuell einen gewissen Sättigungspunkt erreicht. Nun ist es wichtig, dass sowohl Hardware- als auch Software-Entwickler nicht den Fokus verlieren.

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Situation in den nächsten Monaten/Jahren entwickeln wird, bislang lässt uns der Hardware-Hype um die neue Konsolen-Generation allerdings relativ kalt. Wir freuen uns lieber auf viele tolle neue Spiele, die notgedrungen ja auch auf der Current-Gen noch prima laufen werden.

 

 

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Alexander Panknin
Alexander Pankninhttps://www.gaming-grounds.de/
1985 geboren. Mit Doom, Quake und SNES aufgewachsen. War selbst in der Indiegames-Szene aktiv und schreibt nun auf gaming-grounds.de über seine große Leidenschaft: Videospiele.
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