Am heutigen Mittwochvormittag erreichte uns eine für den E-Sport in Deutschland höchst relevante und brisante Mitteilung aus der Politik. Nach einer Anfrage der Bundestagsabgeordneten und Leipziger Stadträtin von Bündnis 90 / Die Grünen Monika Lazar antwortete das Innenministerium, dass man in der aktuellen Legislaturperiode der Bundesregierung keine weiteren Maßnahmen zur Förderung des E-Sports in Deutschland plane.
Dies ist nicht nur an sich eine Antwort, die der E-Sport-Branche dieses Landes zu denken geben sollte, sondern verstößt auch noch direkt gegen die im Koalitionsvertrag von 2018 festgeschriebenen Vorhaben von CDU, CSU und SPD. Die sogenannte „große Koalition“ hält ein weiteres Mal nicht, was sie im Vorfeld – auch im Wahlkampf – den interessierten Wählern und Wählerinnen versprach. Dies sollte uns zu denken geben.
E-Sport in Deutschland: Keine weiteren Schritte zur Gemeinnützigkeit
Nachdem bereits kurzfristig sowohl ESBD als auch game-Verband Stellung bezogen hatten, liegt es auch der Gaming-Grounds.de Redaktion am Herzen, einige Worte zu diesem essenziellen Thema zu verlieren. Nachfolgend lest ihr Stellungnahmen von Timo, Alex und Jonas.
Gaming-Grounds.de sagt: Das gebrochene Versprechen ist eine Katastrophe
Timo Schöber, Hochschuldozent im Bereich E-Sport und Gastautor auf Gaming-Grounds.de, erklärt:
„Prämisse einer funktionierenden Demokratie ist unter anderem, dass Menschen ihre Wahlentscheidung an die Verlässlichkeit von politischen Aussagen knüpfen können. Wenn diese Aussagen nach der Wahl dann in einen Koalitionsvertrag münden, also nach dem Abarbeiten von Themen und dem Ringen um Kompromisse, muss sichergestellt werden, dass Menschen auf diese Vereinbarungen setzen können.
Dieses Sinnbild demokratischer Prozesse mag in der Theorie funktionieren, in der Praxis jedoch findet sich häufig eine enorme Diskrepanz zwischen Versprechungen und Handlungen. Das musste in dieser Legislaturperiode auch die deutsche E-Sport-Szene erfahren. Fanden sich vor der Wahl und auch im Koalitionsvertrag vollmundige Versprechungen von einer „Anerkennung als Sportart“ und einer „olympischen Perspektive“, finden wir uns nun nach kleineren Errungenschaften im Grunde nach vier verlorenen Jahren für den E-Sport wieder.
Während wenig progressive Staaten wie Pakistan E-Sport mittlerweile als das sehen, was er ist, nämlich Sport, weigert sich mit Deutschland eine der fortschrittlichsten Industrienationen der Welt diesen wichtigen Schritt zu gehen. Das mag einer Gemengelage aus Sportautonomie, schwacher politischer E-Sport-Lobbyarbeit, politischem Unwillen und einem reaktionären Sportverständnis in weiten Teilen der Gesellschaft und bei Sportfunktionären geschuldet sein. In Summe bleibt dem deutschen E-Sport in Sachen Anerkennung aber wieder einmal nur der Blick über den nationalen Tellerrand. Ein Blick mit der Gewissheit, dass uns quasi alle anderen großen Nationen dieser Welt im politischen E-Sport bereits deutlich abgehängt haben.
Diese Erkenntnis sollte man als E-Sport-Enthusiast in zukünftige Wahlentscheidungen einfließen lassen.“
Alexander Panknin, Mitbegründer von Gaming-Grounds.de, sagt:
„Was genau hinter den Kulissen zu dieser Kehrtwende in den Köpfen der beteiligten Politiker geführt hat, kann man nur mutmaßen. Es ist allerdings sehr bedauerlich, dass dem Thema E-Sport-Förderung nun offensichtlich so wenig Beachtung geschenkt wird. Damit lässt man erneut eine große Chance vergehen und vergrault sich zudem das Vertrauen der jungen Wähler.
Es fühlt sich nicht gut an, wenn die harte Arbeit der vielen Beteiligten mit Füßen getreten wird. Es ist nachvollziehbar, dass es aktuell vielleicht Themen gibt, die auf der Agenda weiter oben stehen. Fraglich ist dann allerdings, wie es sein kann, dass aktuell trotz der Corona-Pandemie zum Beispiel eine Bundesliga stattfinden kann, dass es sogar Spiele mit Publikum gab.
Hier werden Hebel in Bewegung gesetzt, im Bereich des E-Sports nicht. Das schreit nach unangebrachtem Lobbyismus. Das ist meiner Meinung nach vor allem eines: Verdammt unsportlich.“
Jonas Walter, Gründer und Geschäftsführer von Gaming-Grounds.de, führt aus:
„Die Signalwirkung dieser Nachricht ist ein Warnschuss für die Wahrnehmung politischer Versprechen. Sicherlich hat die Bundesregierung in den hinter uns liegenden Wochen, Monaten und auch Jahren jede Menge äußerst dringliche Baustellen und Themen zu bearbeiten und zu managen. Dennoch ist dies keine Ausrede für die Ignoranz gegenüber im Koalitionsvertrag gegebenen Versprechen, die den Wählern gegenüber stets Geltung haben sollten.
Nicht erst seit der Coronavirus-Pandemie sollte das Thema E-Sport in Deutschland auf der Agenda der Regierungsparteien, Bundestagsabgeordneten und entsprechenden Ministerien stehen. Leider hat man es seit dem Beginn der Legislaturperiode versäumt, sich um das Thema E-Sport konsequent zu kümmern. Aussagen wie „das Thema muss sich irgendwie in den Koalitionsvertrag hineingeschlichen haben“ sorgen nicht erst seit gestern für eine äußerst unvorteilhafte Wahrnehmung der Verantwortlichen gegenüber der immer weiter wachsenden und relevanter werdenden Branche, die sich – wie in Deutschland schon fast gewöhnlich – bei technischen und digitalen Themen im internationalen Vergleich abgehängt sieht.
Dabei sollte insbesondere in Bezug auf die Corona-Pandemie die Frage gestellt werden, welche Unterhaltungsbranchen und Sportarten den Menschen im Lockdown weiterhin fast ungehindert und mit wenigen Einschränkungen Abwechslung, Ablenkung und Freude bereiten können. Ist es nicht wichtig genau diese Bereiche zu unterstützen und zu fördern?
Die heutige Meldung, dass hier von politischer Seite aus vor der Bundestagswahl nichts mehr aktiv unternommen wird, ist nur noch die Bestätigung einer Tatsache, über die sich die meisten Branchenvertreter schon seit Monaten im Klaren sind.“