Tell Me Why Test: Gefühlvolles Familiendrama als Life is Strange-Fortsetzung

Unsere Gesellschaft ist im Umschwung und auch die Welt der Videospiele ergreift eine neue Welle von Offenheit und Toleranz. So halten sensible gesellschaftliche Themen immer mehr Einzug in die Spiele. Zuletzt schwang das Square Enix-Spiel Life is Strange: True Colors ja beinahe schon plakativ die Regenbogen-Fahne. Doch auch im vergangenen Jahr gab es bereits einen Titel, der sich auf eine ruhige, aber nicht weniger emotionale Art und Weise mit Diversität beschäftigte: Tell Me Why.

Während True Colors nun von einem neuen Entwickler produziert wurde (Deck Nine Games) stammt Tell Me Why von dem original Life is Strange-Entwickler Dontnod Entertainment aus Paris. Dies erklärt vermutlich auch die etwas andere Herangehensweise an die aufgegriffenen Themen. Wir blicken heute auf das im August 2020 erschienene Tell Me Why zurück. Das Spiel erschien exklusiv für Windows PC und Xbox. Es ist aktuell auch über den Xbox Game Pass spielbar. Wir haben uns die Xbox-Version angeschaut.

Tell Me Why Hintergrund

Tell Me Why ist ein Kleinstadt-Familiendrama und erzählt die Geschichte der eineiigen Zwillinge Tyler und Alyson Ronan, die in ihrer Kindheit durch ein einschneidendes Ereignis voneinander getrennt worden sind und nach 10 Jahren wieder in ihrer Heimatstadt Delos Crossing (Alaska) aufeinandertreffen. Tyler wurde ursprünglich als Mädchen geboren, seinen ursprünglichen Namen (Deadname) erfährt man im Lauf des Spiels nicht. Vor Beginn seiner Transition nannte seine Schwester ihn allerdings Ollie.

Mit Tell Me Why präsentierte Dontnod das erste Mal einen spielbaren Transgender-Charakter in einer großen Videospiel-Produktion. Um dessen Gefühlswelt authentisch wiedergeben zu können, arbeitete die Entwickler unter anderem mit Beratern der gemeinnützigen LGBT-Organisation GLAAD zusammen. Während Alyson ihre Jugend in der kleinen Heimatstadt verbrachte, wuchs Tyler im Fireweed Residential Center auf, einem Heim für verhaltensauffällige Kinder.

tell me why alyson
Alyson in ihrem ehemaligen Kinderzimmer. Sie denkt traurig an die Vergangenheit.

Der Spieler übernimmt im Wechsel einen der beiden Geschwister, wobei Tyler und Alyson in den meisten Szenen zusammen in Erscheinung treten. Sie sind durch ein unsichtbares Band verbunden, welches sie als „Die Stimme“ bezeichnen. Dies ermöglicht es ihnen, Kraft ihrer Gedanken miteinander zu kommunizieren und gemeinsam Erinnerungen zu erleben. Letztere sind ein Schlüsselelement des Spiels und helfen den Geschwistern, Licht in die Schatten ihrer Vergangenheit zu bringen.

Das Drama ihrer Kindheit dreht sich größtenteils um ihre verstorbene Mutter Mary-Ann Ronan, die ihre Kinder alleine großzog. Sie war eine sehr künstlerische und eigenbrötlerische Person, die mit Tyler und Alyson in einem kleinen Holzhaus direkt am Ufer des Delos Lake, etwas außerhalb der Stadt, wohnte. Gemeinsam mit ihrer Mutter erfanden die Kinder eine eigene Sagenwelt, diese besteht aus vielen kleinen Geschichten, die zusammen das „Buch der Goblins“ bilden.

Tell Me Why ist in drei Kapitel unterteilt, die ursprünglich in kurzen Abständen erschienen sind. Das Spiel geht nicht nur auf das Thema Transsexualität ein. Die Kleinstadt Delos Crossing befindet sich inmitten der Provinz in Alaska. So trifft man im Laufe des Spiels auch auf indigene Charaktere und die Tlingit-Kultur ist ein wichtiger Bestandteil des Settings. Auch für dessen Darstellung hat sich Dontnod Unterstützung geholt und arbeitete mit der Huna Heritage Foundation zusammen.

Tell Me Why Release:

  • Episode 1: 27. August 2020
  • Episode 2: 3. September 2020
  • Episode 3: 10. September 2020

Tell Me Why Trailer:

Gameplay

Die Spieler führen die Charaktere in der Third-Person-Perspektive weitestgehend frei durch die einzelnen Szenen. Tell Me Why ist ein Story-lastiges Abenteuer und konzentriert sich vor allem auf Dialoge, Entscheidungen und kleinere Rätsel. Man kann mit etlichen Gegenständen in der detaillierten Spielwelt interagieren. So erhält man weitere Informationen und Handlungsmöglichkeiten. Es geht hauptsächlich um das Entdecken weiterer Hinweise und die Reaktion auf bestimmte Story-Ereignisse. So haben die Entscheidungen zum Teil auch Einfluss auf das weitere Spielgeschehen und letztlich das Ende der Geschichte.

Während des Spiels kommt es immer wieder zu Flashbacks. An bestimmten Orten können sich die Zwillinge an die Vergangenheit erinnern und so längst vergessene Informationen wiedererlangen. Solche Momente kündigen sich durch ein Herzschlag-ähnliches Klopfgeräusch an, fokussieren sich die Geschwister dann an einer bestimmten Stelle, erscheinen die geisterhaften Erinnerungen in der Szene.

Grafik und Präsentation

Tell Me Why ist äußerst cineastisch aufgezogen und wirkt beinahe wie ein interaktiver Film. Dabei haben die Entwickler viel Wert auf Details gelegt. Die Umgebung bietet einen umwerfenden Grad an Detailreichtum: malerische Landschaften, liebevoll gestaltete Einrichtung und großartig animierte Charaktere. Dies macht Tell Me Why zu einem wirklichen Hingucker. Zum Einsatz kam hier die Unreal Engine 4, die für fotorealistische Grafik sorgt.

Der gekonnte Umgang mit Szenen und Perspektiven sorgt dabei für eine sehr intime Erzählweise und lässt einen die Geschichte von Tyler und Alyson hautnah miterleben. Getragen wird das Spiel zudem von einer dichten Geräuschkulisse und einer dezenten musikalischen Untermalung. Auch das hervorragende Voice Acting trägt viel zur Stimmung bei. Tell Me Why ist vollständig in deutscher Sprache spielbar, die Lokalisierung muss sich dabei nicht hinter dem englischen Original verstecken.

Fazit

Tell Me Why ist ein außergewöhnliches Spiel, welches eine hochgradig emotionale Geschichte erzählt. Es fällt leicht, sich in die Charaktere hineinzufühlen und Alyson und Tyler dürften das Herz vieler Spieler erobert haben. So ähnlich sich die Zwillinge auch in manchen Punkten sein mögen, so kontrastreich ist ihre Gefühlswelt. So kann man sich gut in den energetischen Tyler oder die gefühlvolle Alyson hineinversetzen.

Die Story bietet viele Schlenker und Überraschungen und sorgt von Anfang bis Ende für Abwechslung. Besonders schön ist, dass das Thema Transsexualität eine wichtige Rolle einnimmt, das Spiel aber nicht zu einem pathetischen Klischee-Brei verkommen lässt. Hauptsächlich geht es hier um die Gefühle zweier junger Menschen und ihrer Vergangenheit. Tell Me Why schafft es genau die richtige Balance zu finden. So sorgt es für eine wirkliche Bereicherung des eigenen Mindsets, ohne dabei unnatürlich zu wirken.

Das Spiel hat wenig Schwächen, einzig die Abmischung der Stimmen war an manchen Stellen etwas ungeschickt gewählt. So sind die Stimmen ab und an etwas leise. Hier kann es dann helfen, wenn man sich doch noch den Untertitel hinzuschaltet. Besonders für Sammler gibt es ein paar Hürden, da man manchmal aufpassen muss, wann man bestimmte Schlüsselgegenstände an sich nimmt. Hat man vorher nicht alle anderen Dialoge probiert oder Gegenstände gesammelt, kann man an besagten Stellen nicht mehr zurück und wird sofort in eine neue Szene gebracht. Wer sein Erlebnis vervollständigen möchte, der kann allerdings im Anschluss an das Spiel einzelne Szenen nachspielen.

Tell Me Why erhält von uns eine klare Empfehlung für alle Fans von Story-basierten Spielen, die Lust auf eine emotionale Reise haben. Das Gameplay ist nicht sehr anspruchsvoll, so sollte man die meisten Rätsel relativ schnell lösen können. Hier liegt der Fokus ganz klar auf der Geschichte. Dabei sind die Recherche-Puzzle sicherlich die größte Herausforderung und bieten einen spannenden Ansatz. Die Mehrschichtigkeit der Erzählung durch das Buch der Goblins hat uns gerade in diesem Punkt sehr gefallen und schafft es zudem fantasievoll Magie mit in das ansonsten eher ernste Spiel zu bringen.

Auch wenn sich Entwickler Dontnod mit Tell Me Why von seiner beliebten Hauptserie abgewandt hat, bekommen die Spieler hier einen wirklich würdigen Nachfolger in Form einer neuen IP geboten. Unserer Meinung nach bietet Tell Me Why ein deutlich intensiveres Erlebnis als beispielsweise Life is Strange: True Colors. So hätte Tell Me Why definitiv mehr Aufmerksamkeit verdient. Wir dürfen gespannt sein, mit welchen großartigen Geschichten uns Dontnod in Zukunft noch überraschen wird.

Wertung

Pro
gefühlvolle Story
tolle Präsentation
viel Detailreichtum
Kontra
Stimmen manchmal etwas leise
an manchen Stellen kann man Dinge verpassen

 

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Alexander Panknin
Alexander Pankninhttps://www.gaming-grounds.de/
1985 geboren. Mit Doom, Quake und SNES aufgewachsen. War selbst in der Indiegames-Szene aktiv und schreibt nun auf gaming-grounds.de über seine große Leidenschaft: Videospiele.
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